I
s
I NEUES
AUS
Gretchen Peters
HELLO CRUEL WORLD
Proper/Rough Trade CD
(52')
Mit „Burnt Toast & Offerings“ hatte
die immer schon ein von Kolleginnen
wie Bonnie Raitt oder Martina McBri
de geschätzte Gretchen Peters un
geschminkte Confessions vorgelegt
Das war
2 0 0 7
sozusagen ihr „Blue“
Neben dem Titelsong knüpfen ande
re wie „Paradise Found“, „Woman
On The Wheel“ und das im Duett mit
Rodney Crowell gesungene „Dark
Angel“ mit ihren Bekenntnissen auf
dem neuen Album daran nahtlos an.
Begleitet wird sie dabei unter ande-
ren virtuos von Will Kimbrough auf
erlesenen Saiteninstrumenten -
auch beim mit Tom Russell kompo-
nierten „Saint Francis“ ganz hinrei-
ßend.
F.Sch.
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★★★★•<
Hanne Hukkelberg
FEATHERBRAIN
Propeller Recordings/Soulfood CD
Der Cellobogen zersägt die Saiten
mehr, als dass er sie streicht („I
Sing You“), die Perkussion stolpert
aus dem Takt („Featherbrain“), der
Klavierpart wird von Band-Drop-
outs durchlöchert („Noah“). Was
andere als fehlerhaft verwerfen
würden, wird von Hukkelberg zur
Kunst erhoben. Selbst abwegigste
Geräuschfunde verwandelt sie in
tolle Ausdrucksmittel. Beim ersten
Hören lässt einen die Norwegerin
noch ratlos zurück, doch mit jedem
weiteren Durchgang wachsen ei-
nem ihr sperriger Indierock und ih-
re verstörenden Ideen mehr ans
Herz. Schräges mit Langzeitwir-
kung.
hake
MUSIK
KLANG ★ ★ ★
iT iiia ü
3 1 1 * 1 3
Aus zweiter Hand
Eine Einführung in Leben und Schaffen von Paul Simon
Bei Büchern wie „Walt Disney: Hol-
lywoods Dark Prince“ oder „To The
Limit: The Untold Story of The
Eagles“ gab Marc Eliot gern den Ent-
hüllungsjournalisten. In letzterem
Fall konnte Don Henley eine kleine
Weile die Veröffentlichung verhin-
dern: Eliot hatte dessen Drogenex-
zessen zunächst viel Raum gewid-
met. Auf vergleichbaren Missbrauch
wäre er im Leben von Paul Simon
auch dann kaum gestoßen, wenn er
gründlicher recherchiert hätte.
Was er aber in diesem Fall gene-
rell eher nicht für nötig befand. So
sind nicht nur Live-Mitschnitte, de-
ren Existenz er bestreitet, mittler-
weile erschienen. Auch über die ge-
meinsam mit Art Garfunkel einge-
spielten und dann ins Archiv ver-
bannten Aufnahmen zu „Hearts And
Bones“ hätte man hier doch gern
mehr erfahren. Weil Eliot persönlich
kein einziges Interview mit Paul Si-
mon oder der ihm nun schon länger
angetrauten Edie Brickell führte,
muss er aus Wikipedia zitieren, wie
sich die beiden kennen lernten. Die
Anekdoten, die er über Clive Davis’
Nachfolger als Columbia-Boss, den
cholerischen und größenwahnsinni-
gen Walter Yetnikoff erzählt, sind
höchst amüsante Lektüre auch für
den, der diesen Platten-Mogul schon
in Frederick Dannens brillantem
Buch „Hit Men" näher kennen lern-
te. Bruce Springsteens Ex-Manager
Mike Appel erzählte Eliot, wie Yetni-
koff im Büro den ihm verhassten
Paul Simon übers Telefon anbrüllte:
„Nein, ich brauche nicht noch ein Al-
bum mit elisabethanischen Folk-
songs! Und: FUCK YOU!“ Danach
wechselte derselbe zutiefst belei-
digt zur Konkurrenz von Warner
Bros.
So recht glücklich war Mo Ostin
dort zunächst nicht über Projekte wie
„One Trick Pony“ und die sehr in-
trospektiven Songs von „Hearts And
Bones“. Aber schließlich kam mit
„Graceland“ der Erfolg zurück. Eliot
D E R MUSIKWELT
cs
c£
CS
Wild Flag
WILD FLAG
PIAS CD (auch als LP erhältlich)
(40')
Beim letzten SXSW-Festival in Aus-
tin trat das Quartett mit entfessel-
tem Punk- und Garagen-Rock auf.
Beim Debüt hört man denn auch we-
nig bis gar keinen Girlgroup Pop der
6 0
er Jahre, das ist mehr inspiriert
von Who, Cars, Velvet Underground
- und wohl auch obskuren Gruppen,
die diese vier im Lauf ihrer schon
längeren professionellen Karriere in
anderen Bands schätzen lernten.
„Racehorse“ ist der beste T. Rex-
Ohrwurm, den Marc Bolan nie ge-
schrieben hat, „Black Tiles“ ihre Led-
Zeppelin-Hommage - und kein un-
genierter Klau wie „little Black Sub-
marines“ von den Black Keys neu-
lich!
F.Sch.
MUSIK
★ ★ ★ ★ 1
KLANG ★ ★ ★ *
Marc Eliot: Paul Simon - Die Bio-
grafie (Edel/Rockbuch Verlag),
320 Seiten, Preis: 24,95 €
zitiert gern und reichlich nicht nur
aus Interviews im „Playboy“ und an-
derswo, auch und sogar aus Laura
lacksons „Paul Simon: The Definiti-
ve Biography“! Dass er sich mehr
auf das Werk und weniger auf das
Privatleben des noch heute unter
j
absurden Minderwertigkeitskom-
plexen leidenden Singer/Songwri-
ters konzentriert, macht das Buch
i
dann doch zu einer gar nicht so un-
interessanten Einführung in sein
Schaffen.
Fram Schäler
Wenn die britischen Trendgazetten
einen unbekannten Neuling früh
als „next big thing“ ausrufen, ist
erfahrungsgemäß eine gewisse
Skepsis angebracht. Denn allzu oft
werden die vermeintlichen |ung-
sterne erst über den grünen Klee
gelobt, um sie im nächsten Mo-
ment schon wieder fallen zu lassen,
weil sich ihre Strahlkraft als Blend-
werk entpuppt hat. Im Falle von
Ben Howard waren die Vorschuss-
lorbeeren aber völlig berechtigt,
der
2 3
-Jährige ist mit Sicherheit
keine schnell verglühende Stern-
schnuppe.
Auf den ersten Blick wirkt Howard
wie der Archetyp eines unbeküm-
merten Surfer-Boys. Man kann sich
gut vorstellen, wie er tagsüber auf
den Wellen reitet und abends am
Lagerfeuer beim Gitarrenspiel von
den Mädels angehimmelt wird. Im
Album-Opener „Old Pine“ erfüllt
der Blondschopf das Klischee sogar
mit der Schilderung von Urlaubser-
lebnissen am Meer, danach lernen
wir jedoch einen nachdenklichen
jungen Mann kennen, der in ge-
haltvollen Liedern über die Mühen
des
Erwachsenwerdens
(„Dia-
monds“), sein Hadern mit Gott
(„The Wolves“) oder auch die Ver-
gänglichkeit allen Lebens („Every-
thing“) sinniert.
All das untermalt der Engländer
mit zauberhaften, oft melancho-
lisch gestimmten Folkklängen, die
dem Gestern von Joni Mitchell, Nick
Drake und Richie Hävens genauso
viel verdanken wie dem Heute von
Bon Iver, Fink und Jack Johnson.
Nicht zuletzt sein versiertes Spiel
an den sechs Akustiksaiten hebt ihn
vom Gros der Altersgenossen ab.
Wie der Troubadour des
2 1
. Jahr-
hunderts seine Gitarre sanft zupft
und kräftig pickt, wie er deren Holz-
korpus mitunter zum Perkussions-
instrument umfunktioniert, das ist
große Klasse. A star is born!
Harald Kepler
MUSIK ★ ★ ★ ★ *
KLANG ★ ★ ★
124 STEREO 3/2012